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19. September 2024

Wir machen das Gleiche wie in den 1990er Jahren

Dr. Julia Gabler im Interview bei "Neue Lausitz - Das Leitmedium für den Wandel"

In der Ausgabe vom 20. Februar 2024 der Zeitschrift "Neue Lausitz - Das Leitmedium für den Wandel", einem bedeutsamen online-Medium für den Strukturwandel von Christine Keilholz, erschien ein aufschlussreiches Interview. TRAWOS Institutsdirektorin Dr. phil. Julia Gabler wird über 'Bergbau', 'Energie' und 'Landschaft' in der Lausitz befragt, wobei Sie auch auf die Beteiligung von Bürger*innen zu diesen Themen eingeht. Die Zeitschrift hat sich durch ihre fundierten Berichte und Interviews als bedeutende Informationsquelle etabliert und bietet ihren Leserinnen und Lesern regelmäßig spannende Einblicke in regionale Themen.

Mit ihrer Bergbau-Geschichte ist die Lausitz prädestiniert, um Kompromisse zu finden, sagt die Görlitzer Sozialwissenschaftlerin Julia Gabler. Das sollte man nutzen, wenn es um die Konflikte der Landschaftsnutzung geht.
Christine Keilholz

Das Interview

Frau Gabler, warum bewegt der Ausbau der Erneuerbaren so sehr die Gemüter auf
dem Land?

Das ist der berühmte Effekt, den wir „not im my backyard“ nennen. Der besagt,
dass Menschen, die grundsätzlich für Klimaschutz sind, zu Gegnern werden, wenn
dieser Klimaschutz zu nah an sie heranrückt. Das ist nicht ungewöhnlich. Es gibt
einen Widerstand gegen technische Erneuerungsprozesse, der ganz strukturell ist.
Der tritt bei uns jetzt gerade verstärkt auf, weil die Lausitz als Energieregion in der
Transformation steckt.

Haben wir ein Problem damit, wenn sich unsere Heimat zu schnell verändert?
Insbesondere die Landschaft, die wir ja täglich sehen?

Den Begriff „Heimat“ mag ich nicht. Ich bevorzuge „Zuhause“, das ist positiver und
konstruktiver und drückt alles aus, was man dem Wort Heimat als Gutes entnehmen
kann.

Nehmen wir Heimat als den sozialen Raum, der aus dem privaten Zuhause und der
nahen Öffentlichkeit besteht, wo ich mich aufgehoben und anerkannt fühle, nicht in
meinem Weltbild herausgefordert werde, wo ich jeden Weg und jeden Stein kenne
und möchte, dass das alles auch in 20 Jahren noch so aussieht, selbst wenn ich
dann nur noch zu Besuch komme. Wünschen wir uns das nicht alle?

Natürlich. Aber wir kriegen meist was anderes. Heimat, also unberührte Landschaft,
die verbunden ist mit einer Traditionsidee von Kontinuität, das haben wir in der
Lausitz nur noch in ausgewählten kleinen Zonen. Das steht in Kontrast mit dem
Neuen, devastierten Dörfern und der Tagebaulandschaft. Die Lausitz ist eher ein
Beispiel, wie gesellschaftlicher Zugriff auf Landschaft und ihr Schutz
koexistierenkann.

Die Landschaft der Lausitz ist an vielen Stellen durch den Bergbau zerschunden.
Wie kann man daraus jetzt etwas formen, das Zukunft hat?

Wir haben in einem Projekt mit Studierenden mal geschaut, welche Alternativpläne
zur Seenlandschaft es eigentlich gibt. Wir haben festgestellt, es gibt gar keine. Seit
den 1950er Jahren heißt es immer, wir machen Tagebau und hinterher kommt da
Wasser rein und dann machen wir Seetourismus. Der Ingenieur Otto Rindt nannte
das „doppelte Bodennutzung“. Es gab da nie eine Diskussion um Alternativen. Wir
sind noch sehr umstellt von dieser Idee, dass die Lausitz touristisch funktionieren
muss. Insofern ist diese Landschaftsnutzung ein Instrument, um einen
ökonomischen Zweck zu erfüllen.

Wie meinen Sie das?
Wir machen im Strukturwandel das Gleiche wie in den 1990er Jahren. Es wird in
Gewerbeparks investiert, weil man denkt, dass dadurch ökonomische Prosperität
entsteht. Gleichzeitig eilen wir voran, weil wir Angst haben, wir schaffen es nicht das
Geld auszugeben. Ich sitze im Begleitausschuss, wo Förderprojekte für die
Oberlausitz beschlossen werden. Da wird einem schon manchmal schwindelig bei
den Summen, die bewilligt werden. Viele Projekte, so mein Eindruck, werden nur
gemacht, damit das Geld nicht verfällt.

Wie kann man es besser machen?
Wir sollten mehr über Landschaft und Beteiligung sprechen. Das ist dann sehr
kleinteilig, dann landen wir bei lokalen Initiativen wie dem Partwitzer Förderkreis. Bei
solchen Gruppen entstehen Konzepte, wie man Landschaftsschutz und
Spaziergangswege vereinbaren kann. Da haben Leute ganz reale Interessen und die
sollten mehr Beachtung finden als der nächste technologische Hype oder das
Festhalten an Masterplänen wie dem Seenland. Wir rennen im Strukturwandel
dauernd einem Hype hinterher aus Angst, den nächsten Megatrend zu verpassen.
Das ist bei Wasserstoff so, bei E-Mobilität oder bei Künstlicher Intelligenz. Und da
heißt es jedesmal: Wir müssen da eine europaweit führende Region werden. Diese
Hypes sind meist noch ganz weit weg, aber man will sofort alle mitnehmen. Ich
halte das nicht für den richtigen Ansatz.

„Menschen mitnehmen“, das ist eine Zauberformel, wenn es um Themen geht,
von denen die Menschen noch nicht überzeugt sind. Was ist falsch an diesem
Ansatz?

Es gibt vor, zu wissen, was richtig ist, verbunden mit Innovationsgläubigkeit. Es wird
ein politisches Ziel definiert - nehmen wir das Zwei-Prozent-Flächenziel für
Erneuerbare. Dann müssen die Unternehmen mit ins Boot, um das Projekt
wirtschaftlich zu flankieren. Und dann sollen die Bürger durch Positivgeschichten
überzeugt werden. Wenn das aber nicht klappt, dann werden Sozialwissenschaftler
losgeschickt, um Akzeptanzforschung zu betreiben. Ich als Sozialwissenschaftlerin
bin skeptisch gegenüber Akzeptanzforschung und kann Ihnen sagen, warum das
nicht klappt: Weil es die Bürger infantilisiert. Ich frage lieber: Was ist für die Leute
relevant, wofür setzen sie sich tatsächlich ein?

Es gab auch Studien, die ergaben, dass die Bürger kein großes Interesse
am Mitwirken haben.

Ich bin auch nicht der Meinung, dass man die Bürger immer überall beteiligen soll.
Ich glaube, die Stringenz, die Verwaltung braucht, um ein Großprojekt umzusetzen,
steht ständig im Widerspruch zu der Multiperspektivität von Bürgerinteressen.
Eigentlich müssen wir das immer wieder ausbalancieren. Bei der Arbeit in den
Werkstätten hat sich herausgestellt, wie vielfältig diskutiert werden muss, wenn man
zahlreiche gesellschaftliche Interessengruppen beteiligt. Da muss man dann auch
kommunizieren, dass bestimmte Sachen nicht gehen.

Dass Sachen nicht gehen, höre ich im Zusammenhang mit Strukturwandel
kaum.

Wir sind politisch nicht besonders einfallsreich. Politik versucht immer mehr, die
Bedürfnisse der Leute in ihren Lebenswelten abzubilden. Das ist aber nicht ihre
Aufgabe. Politik muss deutlich sagen, es geht um einen minimalen Konsens. Das
bedeutet, ich muss nicht nur meine Interessen einbringen - ich muss auch die
Schattenseiten davon aushalten. Ich erlebe, dass die Bereitschaft in der Lausitz
hoch ist, Dinge auch in Kauf zu nehmen.

Inwiefern?
Die Menschen in der Lausitz sind unterschiedliche Lebenswelten gewohnt und
können sehr gut mit Widersprüchen umgehen. Man kann im Tagebau arbeiten und
trotzdem kritisch sein, was das für die Umwelt und das eigene Umfeld bedeutet.
Das sind eigentlich optimale Voraussetzungen, um Kompromisse zu finden. Die
Leute sehen, dass es eine Notwendigkeit gibt - auch eine gesellschaftlich erzeugte
Notwendigkeit - bestimmte Veränderungen hier zu vollziehen. Sie sind dann auch
bereit, die Kosten auszuhalten, für einen gesellschaftlichen Gemeinwohlwert.

Also für eine saubere Energie, die dann auch in die Großstädte geliefert
wird?

Ja. Früher, als es um die Kohle ging, hieß das: Ich akzeptiere, dass meine Wäsche
immer dreckig ist, wenn der Rest des Landes Strom kriegt. Das ist sehr
gemeinwohlorientiert und überhaupt nicht romantisch. So wird in dieser Region
auch gedacht. Die Lausitz musste schon viel Wandel über sich ergehen lassen,
ohne dass man sie gefragt hat. Wenn man sie jetzt fragt, dann sollte man die
Antwort auch aushalten. Und wenn die Antwort lautet, „ich mache mir Sorgen
wegen all dieser Solarflächen“, dann sollten wir das erst mal akzeptieren. Wenn es
uns dann gelingt, über alternative Standorte genauso zu diskutieren, wie über
Modellprojekte, in denen Bürger ihren erneuerbaren Strom selbst produzieren und
dadurch unabhängig in der Stromerzeugung werden können, dann fühlen sich die
Menschen ernstgenommen und die Lösungen sind vielfältiger, konfliktsensibler,
aber auch ergebnisoffener.

(Dies ist ein Interview aus 'Neue Lausitz' vom 20. Februar 2024.)

Ihre Ansprechperson

Foto: Dr. phil. Julia Gabler
Dr. phil.
Julia Gabler
Fakultät Sozialwissenschaften
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2. Obergeschoss
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